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Wir müssen in klinischen Prüfungen wieder Spitze werden

Im Rahmen der Reihe „Academia meets industry – bridge the gap“ fand heute die virtuelle Veranstaltung „Klinische Prüfungen – Chancen für Patienten, Wirtschaft und medizinische Ausbildung. Wo wir heute in Deutschland stehen“ statt. In der von der Initiative Gesundheitsindustrie Hessen initiierten Debatte befassten sich Experten mit der rückläufigen Zahl klinischer Prüfungen in Deutschland. Die Gründe dieser Entwicklung, die unter anderem in der zunehmenden Bürokratie und auch den besonders komplexen Regelungen beim Datenschutz gesehen werden, wurden thematisiert und die Auswirkungen auf Patienten in Deutschland betrachtet. Auch die wirtschaftlichen Folgen sowie die Bedeutung von klinischen Prüfungen für die Ausbildung von Medizinerinnen und Medizinern wurden beleuchtet. Die Protagonisten wiesen darauf hin, dass es wichtig sei, innerhalb der Politik und auch der interessierten Öffentlichkeit Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen und Lösungswege zu suchen, um Deutschland im globalen Ranking im Hinblick auf die Durchführung von klinischen Prüfungen wieder zu einem relevanteren Platz zu verhelfen.


Die Initiative Gesundheitsindustrie Hessen hat das WifOR-Institut mit einer Studie zu klinischen Prüfungen beauftragt. Ziel war es, die weitreichenden wirtschaftlichen Auswirkungen, die mit der Entwicklung und Durchführung von klinischen Prüfungen in der Volkswirtschaft einhergehen, aufzuzeigen und zu analysieren. Den Ausgangspunkt sowie die grundlegende Datenbasis hierzu bildeten die Gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung (GGR) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Mit der GGR existiert seit vielen Jahren eine anerkannte Datenbasis zur Beschreibung der wirtschaftlichen Entwicklung unterschiedlicher Teilbereiche innerhalb der Gesundheitswirtschaft.

Frau Dr. Sandra Hofmann vom WifOR-Institut erläuterte in ihrem Vortrag, dass klinische Prüfungen der Phasen I bis III zu rund 1,2 Milliarden Euro und präklinische Forschung rund 2,4 Milliarden Euro zur Bruttowertschöpfung 2019 in Deutschland beitrugen. Mit Phase IV-Prüfungen waren etwa 290 Millionen Euro Wertschöpfung verbunden. Laut WifOR belief sich der ökonomische Beitrag der Phasen I bis III in Hessen auf 215 Millionen Euro. Somit entstand jeder sechste Euro Bruttowertschöpfung in Hessen durch klinische Prüfungen. Die präklinische Forschung lieferte 2019 einen Beitrag zur Wertschöpfung von rund 415 Millionen Euro.

„Die Stärkung des Standorts Deutschland für klinische Prüfungen birgt nicht nur wirtschaftliche Chancen. Verbesserte Therapiemöglichkeiten für Patienten und ein starkes Umfeld für die medizinische Ausbildung sind damit unverzichtbar verbunden“, konstatierte Prof. Dr. Jochen Maas, Leiter der Werkstatt „Wissenschaft und Forschung“ der Initiative Gesundheitsindustrie Hessen und Geschäftsführer Forschung & Entwicklung der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH. „Wir müssen bei klinischen Prüfungen wieder spitze werden“, ergänzte Maas seinen Appell.

„Klinische Prüfungen sind unabdingbare Voraussetzung dafür, dass wissenschaftliche Erkenntnisse Patientinnen und Patienten zugutekommen. Die Politik muss geeignete Rahmenbedingungen schaffen und eigene Maßnahmen beisteuern. Im Rahmen der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung stärken Bund und Länder insbesondere die translationale Forschung zur Bekämpfung der sogenannten Volkskrankheiten. Dank einer leistungsfähigen Gesundheitswirtschaft können wir innovative diagnostische Verfahren und therapeutische Ansätze in eine breite Anwendung bringen – das ist auch im Interesse einer wirtschaftlichen und bezahlbaren Gesundheitsversorgung“, so die hessische Wissenschaftsministerin Angela Dorn in ihrem Grußwort.


Im internationalen Vergleich bestehen in Deutschland grundsätzlich gute Voraussetzungen für die klinische Forschung. So besteht eine hohe Bevölkerungsdichte mit einem dichten Netz von Gesundheits- und Forschungseinrichtungen, Ärzten und Universitäten auf einem qualitativ hohen Niveau. Zudem sind Genehmigungsverfahren bei den Bundesbehörden für klinische Prüfungen zügiger und die wissenschaftliche Bewertung der Anträge nachvollziehbar. Die Infrastruktur für klinische Prüfungen wurde in den letzten Jahren durch Förderprogramme des BMBF verbessert. „Qualitativ sind die in Deutschland erbrachten Beiträge zur Arzneimittelerprobung hochwertig. Dennoch zieht Spanien bei der Anzahl klinischer Prüfungen mit Industrie-Sponsor davon, während diese in Deutschland beständig absackt. Vor allem die langen Vertragsverhandlungen und die fehlende Harmonisierung hierzulande sehe ich als Problem!“ ergänzte Dr. Thorsten Ruppert, Senior Manager Grundsatzfragen Forschung/Entwicklung/Innovation beim Verband der forschenden Arzneimittelfirmen.

Mögliche Gründe für diesen Abwärtstrend in Deutschland liegen nicht nur im verschärften Wettbewerb zwischen den Standorten durch Internationalisierung, sondern auch in langwierigen Vertragsverhandlungen zwischen medizinischen Einrichtungen und Pharmaunternehmen sowie Vertragsprüfungen innerhalb der Klinik bzw. klinischen Forschungseinrichtungen und der für die Prüfung hauptverantwortlichen Institution. Hand in Hand mit diesen schleppenden Verfahren geht die Problematik der Patientenrekrutierung. „Wir befinden uns bei der Suche nach geeigneten Patienten im globalen Wettbewerb“, merkte Dr. Hans Joachim Hutt, Director Scientific Affairs, LEO Pharma GmbH und Mitglied im Lenkungskreis der Initiative Gesundheitsindustrie Hessen in der Diskussion an. Klinische Prüfungen finden in manchen Fällen unter Beteiligung mehrerer Zentren statt, da die Patientenzahlen einzelner Zentren zu gering sind. Erhöhter administrativer Aufwand und Verzögerungen sind die Folge. Dipl.-Psych. Sonja Dargatz, Vorstandsmitglied des Deutschen Neurodermitis Bund e.V. und damit Patientenvertreterin von chronisch hauterkrankten Menschen, merkte an, dass „eine stärkere Einbindung von Selbsthilfeorganisationen und Patientenvertreter:innen in die Forschung positive Auswirkungen auf die Partizipation an klinischen Prüfungen“ haben könnte.

Potential für Verbesserungen sehen die Experten nicht nur in der Beschleunigung von Zulassungsverfahren, sondern auch in der Vereinfachung und Förderung der Zusammenarbeit und Vernetzung von Forschungseinrichtungen. „Die Schaffung von Infrastrukturen, die dem forschenden Arzt die Übertragung bzw. Translation von Grundlagenforschung in die klinische Forschung ermöglicht, ist essenziell für die Stärkung des Studienstandorts Deutschland sowie den schnellen Eingang von Forschungsergebnissen in die Anwendung. So genannte Translations-Hubs unterstützen und begleiten klinische Prüfungen vom Genehmigungsverfahren über Finanzmittelakquise und juristischen Fragestellungen, bis hin zur Konzeption der Prüfung etc.“, so Prof. Dr. med. Susanne Herold, Universitätsklinikum Gießen/Marburg. Aber auch die Digitalisierung sei eine Stellschraube: so biete beispielsweise die Gesundheitsdatennutzung auch für Patientinnen und Patienten neue Chancen, die es zu nutzen gelte.

Durch gesteigerte Wertschätzung der Arbeitsleistung Mitwirkender an klinischen Prüfungen könne das vorhandene Potential in Deutschland besser ausgeschöpft werden.

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