Als ich heute früh beim Bäcker war – dort liegt immer Deutschlands größte Boulevardzeitung aus – konnte ich es wieder lesen, in großen Lettern, rot unterstrichen: Impfstoffdesaster. Und wieder habe ich mich ziemlich geärgert, weil ich davon überzeugt bin, dass wir aktuell eher ein Impfstoffwunder erleben.
Als ich heute früh beim Bäcker war – dort liegt immer Deutschlands größte Boulevardzeitung aus – konnte ich es wieder lesen, in großen Lettern, rot unterstrichen: Impfstoffdesaster. Und wieder habe ich mich ziemlich geärgert, weil ich davon überzeugt bin, dass wir aktuell eher ein Impfstoffwunder erleben. Betrachten wir doch einfach einmal die reale Situation:
In einer noch nie dagewesenen Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Behörden, Politik und Pharmaindustrie hat die Welt es geschafft, binnen weniger als einem Jahr drei Impfstoffe zur Zulassung zu bringen und mehrere weitere stehen ante portas. Und alle sind perfekt erforscht, entwickelt und akribisch geprüft. Normalerweise dauert ein solcher Prozess 6-8 Jahre. Und bei uns redet die Öffentlichkeit von Desaster? Wir sollten im Gegenteil stolz auf das Erreichte sein, zumal der Forschungsstandort Deutschland vor allem zu der neuen Technologie der mRNA-Impfstoffe die entscheidenden Beiträge geliefert hat. Damit haben wir auch die Möglichkeit, auf neue Varianten schnell zu reagieren – auch eine völlig neue und erfreuliche Situation mit der man noch vor einem Jahr nicht unmittelbar rechnen konnte. Das noch im Sommer für kompliziert gehaltene Tieftemperatur-Logistikproblem haben wir ebenfalls weitgehend im Griff und auch die entsprechenden Impfstoffzentren sind eingerichtet. Und last but not least: Wir sollten auch einmal unsere europäische Brille absetzen und die ganze Welt betrachten: Da gehören wir zu den 54 privilegierten Ländern, die überhaupt einen Impfstoff zur Verfügung haben, 150 andere Länder können davon aktuell nur träumen.
Natürlich ist das alles auch kein Wunder, sondern das Ergebnis harter Arbeit vieler Menschen in vielen Organisationen – und keiner davon verdient es nun, das Ergebnis jetzt als Desaster bezeichnet zu bekommen.
Aber natürlich bin ich auch nicht naiv und sehe die aktuellen Probleme. Politik und Pharmaindustrie stehen am Pranger, aber beide Seiten tun ihr Möglichstes: Lassen Sie es mich klar artikulieren: Ohne eine gut funktionierende und rasch reagiert habende Pharmaindustrie gäbe es heute keinen einzigen Impfstoff! Dass es dabei in dem einen oder anderen Fall Rückschläge zu verdauen gab ist bedauerlich, aber völlig normal. Daraus aber die richtigen Schlüsse und Konsequenzen zu ziehen, ist das eigentlich Entscheidende: Jeder sieht, dass es aktuell Produktionsprobleme gibt – und reagiert: Sanofi unterstützt BioNTech, Novartis ebenso, Bayer kooperiert mit CureVac, MSD prüft die Unterstützung anderer Firmen. Wir werden noch mehrere solcher Kooperationen sehen und ein wenig können wir auch stolz darauf sein, als Sanofi hier Vorreiter gewesen zu sein. Es hat noch nie ein besseres Beispiel dafür gegeben, dass der aktuelle Gegner nicht der Konkurrent, sondern das Virus ist. Deswegen bin ich auch sehr zuversichtlich, dass wir als Pharmaindustrie es schaffen, das Versprechen der Kanzlerin, bis zum Sommer ein Impfangebot für alle machen zu können, wahr werden zu lassen.
Und die Politik? Deutschland hat 310 Millionen Impfstoffdosen bestellt, das ist mehr als genug. Das Verteilen auf mehrere Anbieter war der Risikominimierung und Haftungsgründen geschuldet, es wusste damals noch niemand, dass mRNA-Impfstoffe eine so herausragende Wirksamkeit (und Sicherheit) haben. Es gibt also kein Bestellproblem, sondern es existiert ein Produktionsproblem. Hier waren uns die USA voraus, die mit ihrem WARP-Programm – Enterprise-Kenner kennen den Ausdruck – bereits sehr früh in Produktionskapazitäten investiert haben. Europa war hier langsamer, aber Lamentieren hilft uns heute nicht weiter! Der gestrige Impfstoffgipfel hat gezeigt, dass die Mengen der Impfstoffe im Laufe des Jahres kontinuierlich steigen werden – und zwar ohne staatliche Daumenschrauben wie Zwangslizenzen oder Patentaussetzungen! Diese an Planwirtschaft erinnernden Maßnahmen werden nicht funktionieren, da ist die Impfstoffproduktion ein viel zu komplizierter Prozess. Es gibt andere – marktwirtschaftliche – Wege, dieses Ziel zu erreichen.
Summa summarum: Ja, es gibt ein Knirschen beim Anfahren der Produktionsprozesse aller Impfstoffhersteller, das wir im Zusammenspiel aller Akteure lösen werden. Aber wir haben auch alle zusammen im letzten Jahr vieles erreicht, was Anfang des Jahres noch undenkbar schien. Lassen Sie uns das nicht vergessen oder schlechtreden. Wir bekommen das zusammen hin, Sie können also alle schon einmal anfangen, die Ärmel aufzukrempeln!
Herzliche Grüße an Sie alle
Ihr
Jochen Maas