Auf Einladung der Initiative Gesundheitsindustrie Hessen (IGH) und des House of Pharma & Healthcare trafen sich heute renommierte Wissenschaftler im Stadthaus in der neuen Altstadt, um sich über die medizinischen Möglichkeiten der Gentherapie, deren rechtliche Grenzen im nationalen und internationalen Vergleich sowie ethische Implikationen auszutauschen.
Die hessische Wissenschaftsministerin Angela Dorn und der Frankfurter Stadtrat Markus Frank eröffneten die Veranstaltung seitens der Politik. Professor Jochen Maas, Forschungsleiter bei Sanofi-Aventis Deutschland, hieß Publikum und Vortragende willkommen und ging direkt in medias res:
Gentherapie weist in der Medizin ein hohes Potential auf, Erbkrankheiten und andere schwere Krankheiten zu heilen. Allerdings können die verwendeten Technologien auch dazu verwendet werden, Merkmale zu verändern. Bei der Diskussion um die Thematik müssen beide Gesichtspunkte beachtet werden, denn die großen Erwartungen und auch Hoffnungen einerseits gehen oft mit Befürchtungen und Ängsten andererseits einher. Die anwesenden Wissenschaftler zeigten in ihren Präsentationen die medizinischen Möglichkeiten auf und behandelten in der anschließenden Diskussion die ethischen und rechtlichen Grenzen des Machbaren.
Professor Toni Cathomen, Direktor am Institut für Transfusionsmedizin und Gentherapie am Universitätsklinikum Freiburg, gab eine wissenschaftliche Einführung zu den heutigen Möglichkeiten der Gentherapie und informierte über die Genom-Editierung bzw. Gen-Scherentechnologie (CRISPR-Cas). Er zeigte eindrucksvolle Möglichkeiten für klinische Translation im Bereich von Erbkrankheiten wie die Mittelmeeranämie und Infektionskrankheiten wie HIV auf. Abschließend ging er auf Chancen und Risiken aus medizinischer Sicht ein. Der Aussicht auf Heilung von unheilbaren Krankheiten stehen Gefahren wie Fehlschnitte mit zum Teil schwerwiegenden Folgen (off-targets) gegenüber.
Professor Ulrich M. Gassner erläuterte in seinem Vortrag unter dem Titel „Was ist im internationalen Vergleich erlaubt?“ die rechtliche Seite von Forschung und Therapie. Er wies auf deren Grenzbereiche und den Unterschied zwischen der somatischen Gentherapie und der Keimbahnintervention hin. Schon die verschiedenen Regelungsebenen – differenziert nach Urheber – UNESCO, Europarat, EU und nationale Regelungen zeugen von einer komplexen Gemengelage. Im internationalen Vergleich zeigen sich im Bereich der Forschung erhebliche Unterschiede bei nationalen Regelungen, selbst innerhalb Europas. Unstreitig ist, dass die somatische Gentherapie nach Art 13 der Biomedizin-Konvention zulässig ist. Umstritten dagegen ist das Verbot der Keimbahnintervention mit dem Argument, dass Keimbahneingriffe bei therapeutischem Zweck nicht eindeutig ausgeschlossen sind, sondern nur der Ausschluss unbeabsichtigter Nebenfolgen gewollt ist. Ein einheitlicher internationaler Rahmen ist derzeit Utopie, vor allem wenn auch Länder außerhalb Europas in Betracht gezogen werden.
Der Zukunftsforscher Kai Gondlach wagte einen Ausblick auf das Jahr 2035. Er malte die Vision, dass einige Menschen dann bereits unsterblich sein werden. Genomsequenzierung wird dann Kostenträgern kostenfrei angeboten werden, das solidarische Versicherungssystem, wie wir es heute kennen, wird sich also neu erfinden müssen. Genmanipulationen werden aus Sicht des Zukunftsforschers in 2035 nicht nur an Embryonen stattfinden, sondern auch bei Erwachsenen. Das Altern selbst wird insgesamt durch die Möglichkeiten der Medizin dann nicht mehr existent sein. Der optimierte Mensch wechselt einfach präventiv Organe aus, um Schädigungen zu entgehen. Auch die sogenannten Transhumanisten und Cyborgs werden auf diesem Wege immer zahlreicher und verschmelzen mit der Technologie und KI. Die ersten Schnittstellen zwischen Gehirn und Internet werden in 2030 verfügbar sein: so kann man dann Wissen elegant „downloaden“ und per Gedanken mit anderen Trägern der Technologie teilen. Wer sich der Entwicklung verschließt, muss im Zweifel damit rechnen, irgendwann als minderwertige Spezies dazustehen. Der Homo sapiens entwickelt sich weiter. Stillstand ist keine Option.
Die Vorsitzende des europäischen Ethikrats Professorin Christiane Woopen gab einen Überblick über die aktuellen internationalen ethischen Überlegungen zur Gentherapie. Sie stellte das Forschungsprojekt GenE-TypPE vor, welches das Ziel verfolgt, eine ethische und rechtliche Bewertung der Genom-Editierung am Menschen unter Berücksichtigung der verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten der Therapie, der Prävention und des Enhancements zu ermöglichen. Angesichts der weltweiten Bedeutung der Genom-Editierung als einer Menschheits- und Gesellschaftsfrage wird gefordert, ein Global Observatory einzurichten. Woopen bekleidet die Forschungsstelle Ethik am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universitätsklinik in Köln.
An die Vorträge schloss sich eine Podiumsdiskussion an, die von Gundula Gause moderiert wurde. Die Hoffnung vieler Millionen zum Teil schwerkranker Patienten liegt in der roten, medizinisch angewandten, Gentechnik. Risiken und Gefahren sind diese oftmals bereit in Kauf zu nehmen. Notfalls werden medizinische Leistungen im internationalen Ausland in Anspruch genommen, wenn sie dort angeboten, wenn sie dort im Gegensatz zum Heimatland verfügbar und möglich sind.
Um auch die Patientenseite zu beleuchten, gab Pascal Niemeyer, Vorsitzender der Gaucher Gesellschaft Deutschland einen Einblick in eine Erkrankung, die den Namen Morbus Gaucher trägt und zu den seltenen Erkrankungen gehört. Diese Erkrankung scheint ihre Ursache in nur einem einzigen Gen zu haben, was sie zu einem der ersten Ansatzpunkte für eine Gentherapie macht. Nach der Podiumsdiskussion mit den teilnehmen Experten wurde klar, dass die gesellschaftliche Meinungsbildung bezüglich der zu erwartenden wissenschaftlichen, rechtlichen und ethischen Weichenstellungen zwingend im gesellschaftlichen Konsens und im internationalen Kontext geführt werden muss.